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Wie wenig aussagekräftig Schulnoten bei der Auswahl von Bewerbern sind, wissen wir. Nicht immer stecken hinter schlechten Noten mangelndes Wissen oder fehlende Intelligenz. Faulheit, ein unfairer Lehrer oder schlechte Lernbedingungen können ebenso der Grund für ein mieses Zeugnis sein. Dazu kommt: Über Fachkenntnisse sagen Noten schon wenig aus, über Social Skills wie Team- oder Durchsetzungsfähigkeit gar nichts mehr. Wir haben mit Personalern über ihre Assessment-Center gesprochen.
Erste Assessment-Center in Unternehmen fanden bereits in den sechziger Jahren statt. Heute sind sie beliebter denn je: Die Oberman Consulting führte 2001, 2008 und 2012 eine Studie zum Thema durch. Der Anteil der Unternehmen, die ein AC durchführen, stieg in diesem Zeitraum stetig an. In der jüngsten Studie waren es über 60 Prozent. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Bewerber, die pro AC antreten müssen, ab. Warum? Die KfW Bankengruppe beispielsweise lädt zu einem solchen Termin sechs Kandidaten pro Ausbildungsplatz oder duales Studium ein. Das AC ist aber erst die dritte Stufe nach zwei vorgeschalteten Testläufen, in denen Mathematik, Deutsch, Englisch und allgemeine Intelligenz geprüft werden. „Erst wenn auch der zweite Test gut war, schauen wir uns die Bewerbungsunterlagen an“, erklärt Martina Bachmann, Personalreferentin der Bank. Viele gute Bewerber wären sonst vielleicht schon vorher aussortiert worden, weil sie etwa mit Mathe in der Schule ihre Probleme hatten.
Ein Termin statt sechs
Bachmann kann zwei konkrete Gründe nennen, warum die Bank ein AC und nicht etwa nur Einzelinterviews einsetzt. Zum einen, um gleiche Standards für die Einstellungen an drei Standorten zu gewährleisten. Zum anderen, um der Bewerbermenge Herr zu werden. 40 bis 50 Leute stellt die Bank pro Jahr ein. Bachmann: „Uns erleichtert das AC die Arbeit. Allein, weil wir einen Termin für sechs Bewerber gleichzeitig haben anstatt sechs Einzeltermine.“
Assessment-Center ist nicht gleich Assessment-Center. Ist das Unternehmen auf der Suche nach Führungskräften? Oder nach Nachwuchs wie die KfW? Ein gutes AC ist nicht nach Schema F zusammengestellt. Vielmehr sollte von vornherein klar sein, welche stellenspezifischen Erkenntnisse aus der einzelnen Übung gewonnen werden sollen. Als unverzichtbar gilt vielen das gute, alte Einzelinterview. Dagegen verliert, so eine Obermann-Studie von 2016, die Gruppendiskussion an Popularität bei Personalern. Im Vergleich zu kognitiven Tests oder IQ-Tests liefert sie nur schwer standardisierbare, unkonkrete Ergebnisse. Ein bisschen Sehnsucht nach handfestem Zahlenmaterial bleibt also trotz allem. Tests und Fragebögen liefern nicht nur Zahlen, sie können auch davor schützen, dass am Ende eine reine Sympathieentscheidung gefällt wird, von der der extrovertierteste Bewerber profitiert.
Die Präsentation ist quasi ein AC-Evergreen. Bei der KfW ist sie fester Bestandteil des etwa fünfstündigen ACs. Die Bewerber sollen über ein vorgegebenes Thema einen Vortrag halten. Und damit Selbstvertrauen und die Fähigkeit, Prioritäten zu setzen, unter Beweis stellen. Aber nicht nur: Zuvor schreibt jeder einen Aufsatz zum Thema. Eine gezielte Maßnahme der Bank, um diejenigen, die Probleme mit dem schriftlichen Ausdruck haben, herauszufiltern. Außerdem finden stets eine Vorstellungsrunde und eine Gruppendiskussion statt. Der wichtigste Aspekt für die Personaler hierbei: Teamfähigkeit statt Ellenbogenmentalität. „Letzten Endes bilden wir für den eigenen Bedarf aus“, sagt Martina Bachmann, „da sollte Konkurrenz nicht so eine große Rolle spielen“. Auch Hochschulen filtern die teils massive Bewerberflut mittels ACs. So zum Beispiel die International School of Management mit Sitz in Dortmund. „Schüler und Studenten rein nach der Note zu bewerten, ist schwierig“, sagt Daniel Lichtenstein, Marketingleiter der ISM. Stattdessen nutze man das AC, um sich einen umfassenderen Eindruck von Persönlichkeit und Leistungsfähigkeit zu verschaffen. „Nicht jeder, der beispielsweise Shakespeare gut interpretieren kann, kommt auch mit der Grammatik im Businessenglisch klar.“ Die ISM führt einen sogenannten Intelligenzstruktur- und einen Studierfähigkeitstest durch. Außerdem gehört ein persönliches Interview zum sechs- bis achtstündigen Tag. Das System sei seit Jahren erprobt und werde in Details immer wieder angepasst. Die Durchfallquote liege bei zehn bis 15 Prozent. „Wir sehen keine Nachteile“, so Lichtenstein. „Klar, der Aufwand ist höher, aber uns ist es die Mühe schon wert.“
Probeaufgaben nehmen die Angst
Bei den meisten Bewerbern löst der Begriff „Assessment-Center“ Angst aus. Lichtenstein kann das nachvollziehen. Der Stressfaktor sei einfach gegeben. Um die Angst zu mildern, kommt die ISM den Gymnasiasten ein wenig entgegen. Sie verschickt im Vorfeld Probeaufgaben, damit sich die Schüler einen Eindruck davon verschaffen können, was auf sie zukommt. „Es handelt sich um klassische Tests und nicht um ein Hexenwerk“, sagt Lichtenstein. „Wer durchfällt, kann das AC bei uns ein halbes Jahr später sogar noch einmal wiederholen.“
Die Digitalisierung gibt dem Assessment Center einen zusätzlichen Schub. Es wird immer einfacher, eine große Menge an Bewerbern via Internet mit demselben Test zu versorgen. Recrutainment-Programme, also spielerische Prüfungen am PC, liefern schon wertvolle Erkenntnisse, ohne dass der Bewerber überhaupt vom heimischen Schreibtisch aufstehen muss. Die erhobenen Daten werden immer differenzierter und ausgefeilter. Das bedeutet aber leider auch künftig für Musterschüler, dass sie sich nicht auf ihren schulischen Leistungen ausruhen können.
Dieser Beitrag kommt von unserem Autor Andreas Thamm.